Bundesverfassungsgericht

Stärkung der Tarifautonomie

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden wegen unzureichender Beachtung der Tarifautonomie bei tariflichen Nachtzuschlägen

Das Bundesverfassungsgericht hat zu den Geschäftszeichen 1 BvR 1109/21 und 1 BvR 1422/23 entschieden, dass die Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Anpassung von vermeintlich gleichheitswidrigen Nachtarbeitszuschlägen das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG verkennen und daher aufgehoben werden.

Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen zwei Urteile des BAG. Dies hat die beschwerdeführenden Arbeitgeberinnen zur Zahlung höherer als tarifvertraglich vereinbarter Zuschläge an die jeweils in Nachtschichtarbeit beschäftigten Kläger der Ausgangsverfahren verurteilt. Die Sache wurde an das BAG zurückverwiesen. Die tariflichen Zuschlagsregelungen für Nachtschichtarbeit waren nach Ansicht des BAG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, da unregelmäßige Nachtarbeit mit einem höheren Zuschlag vergütet werde. Das BAG hat daraufhin eine "Anpassung nach oben" vorgenommen, so dass auch Nachtschichtarbeiter die höheren Zuschläge erhalten sollten. Nach den anwendbaren Tarifverträgen erhalten Nachtarbeitnehmer einen Zuschlag von 50 %, während Nachtschichtarbeitnehmer lediglich einen Zuschlag von 25 % bekommen. Letztere können jedoch auch von Schichtfreizeiten, bezahlten Pausen und der Aufsummierung verschiedener Zuschläge profitieren. Gegen die Urteile des BAG haben die Arbeitgeberinnen Verfassungsbeschwerde erhoben. Die beschwerdeführenden Arbeitgeberinnen und die Verbände rügen mit ihren Verfassungsbeschwerden insbesondere eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 GG. Die Beschwerdeführenden sind der Ansicht, die "Anpassung nach oben" greife intensiv in die Koalitionsfreiheit ein. Die den Tarifvertragsparteien zustehende Einschätzungsprärogative werde unterlaufen und das Risiko einer gleichheitswidrigen Regelung einseitig der Arbeitgeberseite aufgebürdet.

Die Verfassungsbeschwerden der Verbände wurden als unzulässig verworfen. Die Entscheidungen des BAG verletzen demgegenüber die beschwerdeführenden Arbeitgeberinnen in ihrem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Die Auslegung des BAG, wonach die tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen über die Nachtschichtarbeit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar seien und auf Rechtsfolgenebene eine Anpassung nach oben“ hinsichtlich der Zuschlagsregelung bei Nachtarbeit stattfindet, berücksichtigt die Koalitionsfreiheit nicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise. Zwar müssen die in kollektiver Privatautonomie handelnden Tarifvertragsparteien bei der Tarifnormsetzung den Grundsatz der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG beachten. Das BAG hat jedoch bei der Prüfung der Tarifverträge die Bedeutung der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 GG für die Reichweite dieser Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG wie auch für die Folgen seiner Verletzung nicht ausreichend beachtet. Der Zweck der Tarifautonomie, eine grundsätzlich autonome Aushandlung der Tarifregelungen zu ermöglichen, und der damit einhergehenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien muss berücksichtigt werden. Dies begrenzt die richterliche Kontrolldichte auf eine auf eine Willkürkontrolle. Bei den Zuschlagsregelungen liegt zwar eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vor, unter Berücksichtigung der aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Spielräume der Tarifvertragsparteien ist diese aber nicht gerichtlich als willkürlich zu beanstanden.

Die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts stärkt die Rechtssicherheit und stellt ein richtiges Signal für die Tarifautonomie dar. Das Bundesverfassungsgericht stellt zu Recht klar: Die Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien muss gewährleistet bleiben. Damit sind auch klare Grenzen für gerichtliche Eingriffe gesetzt. Eingriffe durch die Arbeitsgerichte gefährdet den ausgehandelten Tarifkompromiss der Sozialpartner. Zu begrüßen ist auch die die Kritik an der "Anpassung nach oben", welche ebenfalls die tarifautonome Gestaltung der Arbeitsbedingungen verletzt. Das BAG ist nun dazu angehalten, seine Urteile zu überprüfen und dabei den Entscheidungsspielraum der Tarifvertragsparteien angemessen zu berücksichtigen

 

Zurück zur Newsübersicht

Kurz die Cookies, dann geht's weiter

Auf unseren Seiten werden sog. Cookies eingesetzt. Bei Cookies handelt es sich um kleine Textdateien, die für die Dauer Ihrer Browser – Sitzung im Zwischenspeicher Ihres Internetbrowsers (sog. Session-Cookies) oder für eine gewisse Dauer (sog. permanent – Cookies) auf Ihrer Festplatte gespeichert werden.